
Wer morgens in einem mittelständischen Busunternehmen durch den Betriebshof geht, sieht selten nur einen Typ von Fahrzeug. Neben dem Fernreisebus stehen Linienbusse für den Stadtverkehr, Überlandfahrzeuge für Schul- und Berufsverkehr sowie Kleinbusse für Bedarfsverkehre. Viele Betriebe fahren tagsüber Schüler und Pendler und am Wochenende Reisegruppen nach Prag, Südtirol oder an die Nordsee. Wo auf dem Fahrzeug „Reisen“ steht, steckt oft genauso viel ÖPNV drin wie Touristik.
Genau dieses System gerät zunehmend unter Druck. Während ver.di den ÖPNV als Ganzes auf dem Zahnfleisch sieht und eine Erhöhung der Gemeindeverkehrsfinanzierungsmittel auf mindestens 3 Mrd. € fordert, wartet die Politik weiter auf die angekündigte Reform des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG). Union und SPD haben im Koalitionsvertrag versprochen, das GVFG zu vereinfachen und zu entbürokratisieren. Zudem sollten die Mittel spürbar erhöht und der Fördersatz angehoben werden. In der Praxis plant die Bundesregierung mit dem „Vierten Gesetz zur Änderung des GVFG“ bislang vor allem eines: Sie will Magnetschwebebahnen als innovative Technologie in den Förderkatalog aufnehmen. Ein neuer Kabinettstermin wurde mehrfach verschoben.
Aus Sicht vieler Kommunen und Verbände ist das ein eigenwilliger Schwerpunkt. Während vor Ort Haltestellen, Busbahnhöfe und Betriebshöfe sanierungsbedürftig sind, sollen knappe Mittel theoretisch auch für Projekte reserviert werden, die vielfach noch nicht einmal in der Standardisierten Bewertung abgebildet sind. Die Grünen-Berichterstatterin Victoria Broßart spricht offen von einer „Nebelkerze“ ohne verkehrlichen Mehrwert für den ÖPNV.
Die Fachverbände zeichnen ein klares Bild. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) weist darauf hin, dass sich die Zahl der GVFG-Projekte in den vergangenen Jahren verdreifacht hat und insbesondere die Grunderneuerung der Schieneninfrastruktur immer größere Teile des Topfes bindet. Er fordert eine Erhöhung der Mittel auf 3 Mrd. € jährlich. Im Haushaltsentwurf für 2026 sind lediglich 2 Mrd. € vorgesehen. Der Verband plädiert zudem für eine sachgerechtere Dynamisierung. Wenn überwiegend Tiefbauleistungen gefördert werden, sollte sich die Fortschreibung eher am Baupreisindex orientieren als an pauschalen Ansätzen. Der Bundesverband SchienenNahverkehr setzt mit seiner Schätzung von 4 Mrd. € noch eins darauf. Die deutliche Überzeichnung des Programms um den Faktor 1,67 belege den tatsächlichen Bedarf.
Was bedeutet diese Finanzierungsdebatte für Reisebusunternehmen, die auch im ÖPNV unterwegs sind. Erstens verschieben sich Prioritäten bei den Aufgabenträgern. Wenn große Netzausbauprojekte im Schienenbereich ins Stocken geraten oder wegen fehlender Förderung geschoben werden, konzentrieren sich viele Kommunen stärker auf das, was vergleichsweise schnell Wirkung entfaltet. Das sind häufig zusätzliche Busangebote. Expresslinien entlang geplanter, aber nicht finanzierter Stadtbahntrassen, regionale Schnellbusse zwischen Mittelzentren, neue Nachtlinien, On-Demand-Verkehre in ländlichen Räumen. In all diesen Feldern sind private Busunternehmen wichtige Partner und häufig die eigentlichen Betreiber.
Zweitens steigt der Kostendruck in Ausschreibungen. Wenn Kommunen ihre Investitionsprogramme zusammenstreichen müssen, werden Betriebskonzepte und Vergabeverfahren darauf optimiert, mit möglichst wenig Geld möglichst viel Angebot aufrechtzuerhalten. Das kann für private Anbieter auf den ersten Blick attraktiv sein, weil mehr Lose auf den Markt kommen. Gleichzeitig wächst aber der Druck auf Margen, Vertragslaufzeiten und Risikoaufteilung. Kurzlaufende Verträge mit umfangreichen Anpassungsklauseln, hohe Anforderungen an Fahrzeugalter und Ausstattung, strengere Vorgaben zu Personaleinsatz und Umlaufplanung, aber wenig Spielraum bei der Vergütung. Wer als Mischbetrieb sowohl Reiseverkehr als auch Auftragsverkehre fährt, muss genau prüfen, wie viel Risiko er in seinem ÖPNV-Portfolio tragen will, ohne die Touristikseite zu gefährden.
Drittens hängt an der GVFG-Reform sehr viel Infrastruktur, die unmittelbar auch Reisebusse betrifft. Busbahnhöfe, zentrale Omnibusbahnhöfe, barrierefreie Haltepunkte an Bahnhöfen, attraktive Umsteigeknoten, Wendeanlagen und Abstellflächen auf Betriebshöfen sind klassische GVFG-Projekte. Wenn Förderentscheidungen verschoben werden, bleiben häufig genau diese Anlagen in einem Zustand, der eher an Provisorien erinnert. Für Reisegruppen bedeutet das unsichere Zustiegssituationen, wenig komfortable Wartezonen, fehlende WC, komplizierte Wege von Bahnsteig zum Bus. Für Unternehmen sind schlecht gestaltete Knotenpunkte ein Wettbewerbsnachteil gegenüber dem eigenen Auto oder dem Direktflug.
Viertens wirkt sich die Unsicherheit direkt auf die Personalebene aus. Unternehmen, die heute in neue Linienverkehre einsteigen, müssen Fahrer gewinnen und halten. Gleichzeitig wissen sie oft nicht, ob der Auftrag nach wenigen Jahren verlängert wird oder ob die Finanzierung des Verkehrsverbunds dann noch trägt. Wer parallel mit dem Reisebusgeschäft saisonale Spitzen bedienen will, braucht Planungssicherheit bei Stammumläufen. Ein GVFG-System, das mittelfristige Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge stützt, hilft indirekt auch dabei, Arbeitsplätze in Mischbetrieben stabiler zu organisieren.
Die politische Debatte zur Zukunft des ÖPNV hat also sehr konkrete Folgen für die Reisebusbranche. In vielen Regionen sind es gerade die touristisch geprägten Unternehmen, die im Auftrag der öffentlichen Hand Linienverkehr, Schulverkehr oder Zubringer zum nächsten Bahnhof übernehmen. Wenn hier die Finanzierung weiter wackelt, schlägt das auf die gesamte Unternehmensstruktur durch. Neue Reisebusse, moderner Bordkomfort, Investitionen in digitale Buchungssysteme oder eigene Marketingaktivitäten lassen sich nur stemmen, wenn die ÖPNV-Säule einigermaßen verlässlich trägt.
Was folgt daraus. Erstens sollten Reise- und Mischbetriebe sich nicht allein als „Zulieferer“ des ÖPNV verstehen, sondern aktiv in die politische Diskussion einbringen, was Busangebote vor Ort leisten können. Gerade in Landkreisen, die zwischen ambitionierten Klimazielen und knappen Haushalten stehen, sind pragmatische Bussysteme oft die einzige realistische Option für einen Ausbau des Angebots. Zweitens lohnt es sich, bei neuen Ausschreibungen noch genauer auf Vertragsarchitektur und Risikoaufteilung zu achten. Ein zusätzlicher Auftrag ist nur dann sinnvoll, wenn er das Gesamtunternehmen stabiler macht und nicht die Liquidität aufs Spiel setzt.
Die hängende GVFG-Reform ist deshalb mehr als ein technischer Gesetzesvorgang. Sie ist ein Prüfstein dafür, ob Bund und Länder den ÖPNV als Rückgrat eines modernen Mobilitätsmix ernst nehmen. Und sie entscheidet mit darüber, ob Reisebusunternehmen, die heute schon den Spagat zwischen Touristik und Linienverkehr wagen, morgen noch Luft zum Atmen haben oder zwischen Sparzwängen und Investitionsdruck zerrieben werden.
Roman Müller-Böhm