Die Bundesregierung verlagert zentrale Verkehrsausgaben in ein Sondervermögen. Offiziell soll das Planungssicherheit schaffen. Kritiker sprechen von Verschleierung. Was wirklich hinter dem neuen Schuldenfonds steckt.
Es ist einer der größten haushaltspolitischen Kunstgriffe dieser Legislatur: Der Bund verlagert Milliarden aus dem Verkehrsetat in ein neues Sondervermögen, das den unscheinbaren Namen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ trägt, in Wahrheit aber zu einem Symbol für die neue Finanzpolitik geworden ist. Über diesen Fonds sollen bis 2036 mehr als 500 Mrd. € in Straßen, Schienen und Energienetze fließen – schuldenfinanziert, außerhalb des Kernhaushalts, abgesichert durch eine Grundgesetzänderung. Was als Modernisierungsschub angekündigt war, wird nun zum Prüfstein für politische Glaubwürdigkeit.
Denn auf dem Papier ist alles größer geworden: mehr Milliarden, mehr Projekte, mehr Zukunft. In der Realität aber schrumpfen an anderer Stelle die klassischen Investitionstitel. Für die Bundesfernstraßen etwa sinken die Mittel im Kernhaushalt auf rund 10,8 Mrd. € – 2 Mrd. € weniger als im Vorjahr. Gleichzeitig tauchen dieselben Posten, etwa für Brückensanierungen, im Sondervermögen wieder auf. Das Gleiche gilt für Teile des Bahnetats. Selbst Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder spricht davon, die Ausgaben würden „neu strukturiert“. Damit wird sichtbar, was Kritiker schon länger vermuten: Der neue Schuldenfonds ersetzt alte Etats, anstatt sie zu ergänzen.
Im Bundestag scheiden sich an dieser Konstruktion die Geister. Die Regierungskoalition nennt sie einen historischen Kraftakt, der Planungssicherheit über Legislaturperioden hinaus garantiere. Die Opposition erkennt darin einen Etikettenschwindel. Grünen-Haushälterin Paula Piechotta rechnete vor, dass von den 30 Mrd. € jährlicher Zusatzinvestitionen, die einst versprochen wurden, kaum ein Fünftel real werde. Die Linke spricht von „Taschenspielertricks“ und kritisiert, dass Mittel lediglich verschoben, nicht vermehrt werden. Selbst die FDP, inzwischen in der außerparlamentarischen Opposition, sieht sich bestätigt: Schuldenberge wüchsen, ohne dass zusätzliche Bagger rollten. Der Bundesrechnungshof sekundiert: In seinem Bericht an den Haushaltsausschuss heißt es, die Politik habe auf „klare Investitionsziele und Erfolgskontrollen“ verzichtet. Es sei nicht nachvollziehbar, ob die Mittel tatsächlich zusätzlich eingesetzt oder lediglich umgebucht würden.
Auch die Monopolkommission mahnt. Geld allein, warnen die Wettbewerbshüter, löse keine Strukturprobleme. Ohne klare Steuerung, transparente Vergabe und eine Entflechtung von Verantwortlichkeiten drohten Milliarden zu verpuffen. Besonders deutlich zeigt sich das beim Straßenbau: Zwar sind im Sondervermögen 2,5 Mrd. € für Brücken vorgesehen, doch im regulären Haushalt werden parallel Mittel gekürzt. Die Kommission fordert, Investitionen müssten technologieoffen und ausgewogen erfolgen – Schiene, Straße und Wasserstraße dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.
In der Fachwelt überwiegt Skepsis. Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft haben mehrere Fälle belegt, in denen der Grundsatz der Zusätzlichkeit verletzt wird. Breitbandförderung, Krankenhausmodernisierung, selbst Teile der Verkehrsinvestitionen tauchen schlicht in neuer Buchungskategorie wieder auf. Branchenverbände beklagen, dass die Milliarden nicht in der Baupraxis ankommen. Der Bundesverband Baustoffe fordert Verlässlichkeit und Tempo: Nur wenn die neuen Schulden tatsächlich auf Baustellen wirken, könne der Investitionsstau abgebaut werden. Auch der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer erinnert daran, dass der Zustand der Straßen, Haltestellen und Rastanlagen – die eigentliche Lebensader des Gewerbes – entscheidend sei.
Die Befürworter verweisen dagegen auf einen neuen qualitativen Effekt. Zum ersten Mal seien Verpflichtungsermächtigungen über mehrere Jahre möglich, was Planern und Bauunternehmen echte Verlässlichkeit gebe. Tatsächlich könnten so Projekte finanziert werden, deren Realisierung bislang an starren Jahreshaushalten scheiterte. Doch dieser Fortschritt hat seinen Preis: Der Fonds ist befristet, seine Kreditrahmen enden spätestens 2036. Was danach passiert, weiß niemand. Schon heute warnen Haushaltsexperten vor einem „Finanzkliff“ am Ende des Jahrzehnts. Wenn der Schuldenfonds erschöpft ist, wird die Tilgung beginnen – und der reguläre Haushalt wieder schrumpfen.
Die politische Logik des Sondervermögens ist damit ebenso riskant wie verführerisch. Es schafft Luft zum Atmen, aber keine solide Basis. Noch sind viele Milliarden nicht abgerufen, die Umsetzung stockt und die Ministerien kämpfen mit knappen Planungskapazitäten. Selbst Schnieder musste einräumen, ihm fehlten bis 2029 rund 15 Mrd. €, um alle fertigen Straßenprojekte überhaupt finanzieren zu können. Es ist das Paradox dieser neuen Haushaltspolitik: Sie öffnet Spielräume, ohne sie auszufüllen.
Damit wird das Sondervermögen zum Spiegel einer tieferen Wahrheit über die Verkehrspolitik in Deutschland. Seit Jahren werden Investitionsprogramme angekündigt, doch selten konsequent umgesetzt. Nun sollen Schulden das Versprechen erneuern. Ob daraus Aufbruch oder Enttäuschung wird, hängt weniger vom Geld ab als von der Fähigkeit, es sinnvoll zu verwenden. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob das neue Finanzinstrument tatsächlich die Infrastruktur modernisiert oder nur das Haushaltsbild schöner färbt. Sicher ist nur: Der Kampf um Glaubwürdigkeit hat längst begonnen.
Roman Müller-Böhm
 
        
 
								 
															