Die neue Smartphone-Maut soll den Alltag der Transportunternehmen erleichtern – und zugleich die Einnahmen des Staates sichern. Doch hinter der Digitalisierung steckt eine politische Weichenstellung mit Langzeitwirkung.
In Berlin wird gerade still eine technische Neuerung vorbereitet, die das Mautsystem in Deutschland von Grund auf verändern könnte. Sie trägt keinen großen Namen, kein Prestigeprojekt wie Bahnreform oder Klimapakt, aber sie hat es in sich. Mit dem neuen Gesetz zur Änderung mautrechtlicher Vorschriften will die Bundesregierung die Lkw-Maut digitalisieren – und führt dabei ein Instrument ein, das weit mehr ist als eine Software: eine Smartphone-App, die künftig die Strecke, das Fahrzeug und den Preis berechnet. Wer eine Fahrt antritt, startet auf dem Handy eine Anwendung, die alle paar Minuten die Position übermittelt und so die gefahrene Route erfasst. Nach der Ankunft wird sie beendet, und die Daten landen automatisch beim Mautbetreiber Toll Collect. Keine On-Board-Unit mehr, kein Papier, kein Gerät an der Windschutzscheibe. Ein Systemwechsel mitten im Alltag der Logistikbranche.

Die Begründung klingt harmlos: weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, mehr Komfort. Tatsächlich aber geht es um mehr. Das neue Verfahren reduziert Aufwand und Kosten für Unternehmen, vor allem für kleinere Speditionen oder ausländische Transportunternehmen, die bisher aufwendig Geräte nachrüsten mussten. Gleichzeitig verschafft es dem Bund präzisere Erfassungsdaten und einen Hebel, die Einnahmen lückenloser zu kontrollieren. Der Staat modernisiert nicht nur sein Mautsystem, sondern schafft sich ein digitales Instrument, das perspektivisch auch für andere Fahrzeuggruppen anwendbar wäre – wenn der politische Wille dazu kommt.
Parallel dazu wird die Maut selbst neu kalibriert. Seit Ende 2023 gilt eine CO₂-Komponente, die nun erweitert wird. Die Mautsätze orientieren sich künftig noch stärker am tatsächlichen Emissionsausstoß der Fahrzeuge. Emissionsfreie Lkw bleiben bis Ende 2025 von der Zahlung befreit, alle anderen zahlen nach einer Staffel von fünf CO₂-Klassen. Ab 2026 werden die Einstufungen regelmäßig überprüft, um die Spreizung zwischen modernen und alten Fahrzeugen zu vergrößern. So will die Bundesregierung die Klimapolitik auf die Straße bringen: Wer viel ausstößt, zahlt mehr. Wer investiert, spart.
Doch wie immer steckt die Tücke im Detail. Im Entwurf fand sich zunächst eine Formulierung, die Wasserstoff-Verbrennungsmotoren aus der Mautbefreiung herausfallen ließ. Nach heftiger Kritik stellte das Verkehrsministerium klar, dass diese Fahrzeuge weiterhin als emissionsfrei gelten. Andere Streitpunkte bleiben: Die Mineralölwirtschaft kritisiert, dass synthetische oder biogene Kraftstoffe nicht anerkannt werden, obwohl sie klimaneutral sein können. Es ist die alte Frage, ob Klimapolitik Technologieoffenheit ernst meint – oder nur Batterieantriebe belohnt.
Politisch zeigt der Vorgang, wie eng Klimaziele und Finanzinteressen mittlerweile verwoben sind. 2025 wird der Bund rund 13,5 Mrd. Euro aus der Lkw-Maut einnehmen, doppelt so viel wie noch vor wenigen Jahren. Das Geld fließt nicht mehr ausschließlich in Straßenbau und Instandhaltung, sondern zunehmend in Schienenprojekte und klimafreundliche Mobilität. Während die Speditionsverbände einen geschlossenen Finanzierungskreislauf Straße fordern, hält die Bundesregierung an der Aufteilung fest. Damit wird die Maut nicht nur zur Einnahmequelle, sondern auch zum politischen Steuerungsinstrument – zwischen Verkehr, Klima und Haushaltspolitik.
Bemerkenswert ist die Eile, mit der das Vorhaben umgesetzt werden soll. Zwischen Referentenentwurf, Kabinettsbeschluss und Bundestagsbefassung liegen nur wenige Wochen. Verbände hatten kaum Zeit, Stellung zu nehmen. Das Verfahren ist so konstruiert, dass der Bundesrat nicht zustimmen muss; Details wie Tarife und App-Standards werden später per Verordnung ergänzt. Die Regierung will schnelle Handlungsfähigkeit demonstrieren, nach den politischen Blockaden der letzten Jahre auch ein Signal an Verwaltung und Wirtschaft: Es geht wieder etwas.
Die technische Einführung ist für 2026 geplant. Toll Collect rechnet mit überschaubaren Kosten, dafür aber mit deutlich effizienteren Abläufen. Spediteure sparen Aufwand, der Staat spart Bürokratie – ein Musterbeispiel für pragmatische Digitalisierung. Gleichzeitig rückt die Maut selbst näher an den Nutzer heran. Sie wird individueller, kleinteiliger, unmittelbarer. Wer fährt, zahlt in Echtzeit. Was heute Lkw betrifft, könnte morgen theoretisch für andere gelten.
Und genau hier wird die Reform für die Bus- und Reisebranche interessant. Noch ist der Fernbus von der Maut befreit, und das Verkehrsministerium betont, dass sich daran nichts ändert. Doch mit der neuen Technologie wäre eine Ausweitung technisch ohne weiteres möglich. Ein Smartphone im Fahrerhaus reicht, um jede Fahrt automatisch zu erfassen. Die Frage ist also nicht, ob es geht, sondern ob es politisch gewollt ist. Sollte der Staat eines Tages eine einheitliche Nutzerfinanzierung anstreben, wäre der Weg bereitet.
Für Reisebusse, die als eines der klimafreundlichsten Verkehrsmittel gelten, wäre das ein Bruch mit bisheriger Politik. Noch profitiert die Branche davon, dass sie Straßen entlastet, günstige Mobilität bietet und weniger CO₂ pro Fahrgast verursacht als Auto oder Flugzeug. Doch der digitale Fortschritt in der Mauterhebung schafft neue Spielräume, und wo Daten vorhanden sind, wächst oft der politische Appetit, sie zu nutzen. Für die Busunternehmen bedeutet das: wachsam bleiben, argumentieren, präsent sein. Denn ein Mautsystem, das heute nur für Lkw gilt, kann morgen leicht neue Grenzen ziehen.
So betrachtet ist die Smartphone-Maut kein Randthema der Verwaltung, sondern ein Symbol dafür, wohin sich Verkehrspolitik in Deutschland bewegt. Weg von festen Strukturen, hin zu flexiblen, datenbasierten Steuerungsmechanismen. Es ist ein stiller, technokratischer Wandel, aber einer mit großer Wirkung. Wer ihn verstehen will, muss ihn nicht nur technisch, sondern politisch lesen: als Versuch, Klimapolitik, Digitalisierung und Einnahmesteuerung in einem System zu vereinen. Und wer im Mobilitätssektor unterwegs ist, sollte sich darauf einstellen, dass diese neue Logik bald alle erreicht. Auch jene, die heute noch außen vor sind.
Roman Müller-Böhm
